Schattenspiele im Wald

Es war einmal ein kluger Fuchs namens Ferdinand, der in einem Wald voller vielfältiger Tiere lebte. Die Tiere des Waldes hatten sich zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen, um ihre Interessen zu vertreten und für ihre Rechte einzutreten. Ferdinand war ein Mitglied dieser Gemeinschaft, die von einem Ratsgremium geleitet wurde.

Der Waldstaat hatte einst die Idee gefördert, dass Bildung und Kultur für alle zugänglich sein sollten, um eine gerechte Gesellschaft zu schaffen. Doch mit der Zeit entstand eine Unwucht und die Menschen blieben oft ungebildet und unpolitisch. Manche glaubten dennoch, dass sie klüger als die anderen waren und fühlten sich deshalb zu Höherem berufen.

Man hatte sich über die Jahrhunderte an vier Jahreszeiten gewöhnt. Doch seit einigen Jahren kam eine fünfte Jahreszeit hinzu, die alles durcheinanderbrachte. Einige suchten nach den Ursachen und vermuteten, dass die intensive Rodung der Baumbestände zu viel Sonne auf den Waldboden brachte. Andere vermuteten eine göttliche Kraft, die sich gegen das Waldvolk verschworen hatte.

In den Institutionen des Waldstaates geriet inzwischen alles durcheinander, weil die Waldbesiedelung völlig umgekrempelt wurde. Die Schattenplätze wurden rar, der ganze Wald war plötzlich in Bewegung und die alte Ordnung wurde umgestoßen wie ein Holztisch voller loser Blätter. Natürlich verstanden sich die Tiere untereinander nicht sofort.

Der kluge Fuchs Ferdinand fand, dass die Gemeinschaft der Tiere, trotz ihrer guten Absichten, nicht alle Mitglieder gleichermaßen repräsentierte. Ferdinand, der die Sorgen und Nöte vieler Tiere kannte, fühlte sich von der Gemeinschaft nicht angemessen vertreten.

Der Rat und der Waldstaat, die einst für Gerechtigkeit und Chancengleichheit standen, schienen nun die Interessen der Unsichtbaren zu vertreten, die die feudalen Machtstrukturen nutzten. Die kapitalistischen Patriarchen beuteten alle aus, wobei einige etwas weniger ausgebeutet wurden als andere.

Ferdinand verstand, dass man als Waldgemeinschaft nicht in der Lage war, sich dem Kampf gegen diese mächtigen Strukturen zu stellen. Gleichzeitig war der Wandel bereits in vollem Gange und als Vertreter des Staates musste man längst täglich neue Wege finden, um die alte Hoffnung auf Gerechtigkeit wiederherzustellen.

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Eines Tages beschloss Ferdinand, den Tieren im Wald einen offenen Brief zu schreiben.

Yo, liebe Leude im Wald,

ick bin der Ferdinand, dit schlaue Füchslein, wat hier in’n Wald für‘n Waldstaat ackert. Wisst ihr, dit war mal ’ne honore Idee, dass alle hier im Wald die gleiche Chance ham sollten, wat Wohnung, Essen, Bildung und Kultur angeht. Aber ick sag euch, det lief zuletzt nich mehr.

Ick hab’n guten Job, aber die Jungs und Mädels, die dit Ganze schmeißen sollen, die sind oft voll überfordert, stur und unpolitisch. Und se verstehen nicht dit sich allet ändert, dit is voll Banane. Weil et manchen och noch zu jut jeht, aber andere eben nich. Et is alles aus’m Gleichgewicht wie überall. Alles voll im Dispo, aba noch nich janz abgerauscht.

Mittlerweile hat sich ’ne Schicht rausgekristallisiert, die sich durch fancy Shopping celebriert. Und ick jehör ja dazu…

Aber ick hab och dit Gefühl, ick mach mit bei ’ner Show, wo ick am Ende weniger Kohle ziehe. Dit is double frustrating, ick muss de Jewinnern helfen, aber jehör och nich‘ zu de wirklich arme Leute.

Mit ’nem schweren Kopp sag ick Tschüss und such mir ’nen neuen Weg, um uns hier im Wald mal janz anders zu verstehen.

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BEKANNTMACHUNG AN DIE EINWOHNENDEN DES WALDSTAATES

Die in dem Schreiben von Fuchs Ferdinand enthaltenen Inhalte manifestieren offenkundige Anhaltspunkte für eine Desavouierung der herkömmlichen Regularien und Standards des hiesigen Gemeinwesens und ergo eine latente Gefährdung der sozialen Ordnung sowie der strukturellen Stabilität.

Der Initiator des genannten Schriftstücks, Ferdinand, hat sich offen gegen das übergeordnete Beschlussorgan und die konstituierten Ordnungsprinzipien des Wohn- und Gemeinschaftsraumes „Waldstaat“ positioniert.

Als Konsequenz wird festgehalten, dass das Handeln dieses Taugenichts als potenziell destabilisierend für das gemeinschaftliche Wohlergehen interpretiert werden muss. Eine unverzügliche Separation und Transferierung in eine geeignete Institution zur psychologischen Behandlung wird angeordnet.

Nachahmenden wird gleiches widerfahren.

Ein dreifaches: Glück Kauf!

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Dort sitzt er nun, der Deserteur, die Wände halten seinen Geist zusammen. Die Ungerechtigkeit überwacht ihn täglich und das fühlt sich wie eine neue Ewigkeit an. Tage verschwimmen in einer tristen Monotonie, doch der endlose Wirbelwind im Kopf sucht die Freiheit im Fuchsbau. Die Harmonie des Urwaldes und das Rauschen der Bäume bleiben in der Erinnerung ein brennendes Licht. In der Phantasie lebt die Hoffnung auf Gerechtigkeit.