Jetzt auch zur Weihnachtszeit
Ich musste mir wirklich die Augen reiben, als ich heute davon erfuhr. Die neue Modekollektion von einem namenhaften Künstler unserer Stadt wurde produziert, um sie zu vernichten. Man kann es nicht anders sagen, es ist absurd. Der Müll in den Weltmeeren und auf der Kalker Hauptstraße bekommt endlich neue Gesellschaft. Wir freuen uns für ihn oder sie und für die Marketingabteilung. Brandneue Kleider für die Königinnen der Straße, gesponsert von der Sugar Industrie.
Irgendwo verkauft sich ein Körper zum goldenen Schuss. Die alte Kollektion, gar nicht so alt, rettet sich nicht mehr in das neue Jahr. Unsere Inventur hat ergeben: Der Junge kann weg, der geht nicht über Los.
– Hinweis für Regisseure bei möglicher Verfilmung: Hier sollte eine Spritze in Großaufnahme gezeigt und dann symbolisch geteilt werden.
Vielleicht hat diese Inszenierung auch etwas Gutes. wenn der Abfall der Gesellschaft das ein oder andere Kleidungsstück auf die Straße bringt, dann sind die Asozialen dieses Jahr endlich gut gekleidet. Dann müsste man nur noch dafür sorgen, dass die nicht so stinken. Es ist die Hölle, wenn ich da vorbeigehe, wo früher Kaufhof war. Und es werden immer mehr seit der Pandemie. Nächstes Jahr muss ich endlich dafür kämpfen, dass meine Werbetexte besser bezahlt werden. Dann kann ich mir endlich was besseres leisten, irgendwo in einem anderen Viertel. Eins das besser riecht und schöner aussieht. *Herzemoji*
Früher waren die Winter richtig kalt. Der Frost treibt die Insekten raus aus der Welt. Das Ungeziefer bekommt seine Gerechtigkeit. Die letzten Jahre war es allerdings viel zu warm. Aber: Es gibt – glücklicherweise – bald keine Probleme mehr auf der Welt, denn die sterben alle aus.
Ich habe einen wunderbaren Beruf. Einen zweiten. Meine Aufgabe besteht darin, dass ich zum Jahresende die Träume und Wünsche der Menschen sammle – natürlich nicht auf der Straße, dort liegt kein Kapital. Nein, ich gehe von Haus zu Haus und schreibe DMs in den sozialen Netzwerken. Die Leute sollen mir sagen, was ihnen fehlt und ich nehme es in meine Datenbank auf. Wir kümmern uns dann darum und liefern es aus. Alles.
Der Schlafsack bewegt sich nicht mehr. Die Insekten sind müde.
Es ist gut, dass Speicherplatz kein Problem ist. Die Listen sind in den letzten Jahren immer länger geworden. Als es uns vor einigen Jahren zu viel wurde, hatten wir eine spontane Krisensitzung. Nach langen Beratungen kam die zündende Idee: Wir machen es jetzt wie heute die Mode. Wir sammeln die Listen ein, wir besorgen die Träume und Wünsche und werfen sie dann direkt weg. Anstelle der Lieferung berechnen wir nur noch die Entsorgung. Die Menschen bekommen den Beleg direkt als Pushnachricht auf ihr Handy.
Hier passiert nichts mehr.
Viele sind wirklich glücklich mit unserer Arbeit. Wir bekommen gutes Feedback. Die Menschen kommen persönlich vorbei und freuen sich darüber, was sie durch uns schon alles nicht mehr selbst erleben mussten.