Stadtbild
In der Stadt war alles in jeder Hinsicht laut. Zu laut. Meine Großmutter hatte ein sehr feinfühliges Gehör von musischer Qualität, das mit dem industriellen Rauschen nicht wirklich zurechtkam. Wenn sie hier mal nichts hörte, blieb doch ein diffuser Lärm, der ihr Nervenkostüm derart strapazierte, dass sie über die Intensität ihrer reflexhaften Fürsorge jede Kontrolle verlor. Ich schätze, sie stand wirklich jedes Mal unter Hochspannung und war schlichtweg überfordert, wenn sie ihr Haus verließ und unseres nach einigen Stunden der räumlichen Überwindung betrat. Das hier war fremdes Gewässer. Doch das Schwimmen hatte sie nie gelernt und daher machten ihr Herausforderungen maritimer Natur begründete Angst. Meine Großmutter kannte nur den richtigen Wald und hatte fast ihr ganzes Leben im Dorf verbracht. Auf dem Land hielt sie den Kopf natürlich über Wasser. Orientierung fand sie abseits der ausgetretenen Pfade. Das Haus verließ sie nur, wenn sie neben Ruhe auch frische Luft suchte. Manchmal brachte sie von Spaziergängen Pilze mit. Nicht immer. Das Dorf verließ sie sonst nur, wenn sie zu uns zu Besuch kam.
Hier gab es fast nur Beton, Pflastersteine oder Asphalt; hin und wieder ein Baumkarree mit einem Häufchen Erde und Hund. Unsere Pfade waren nicht ausgetreten, sondern professionell verdichtet und wurden nicht infrage gestellt. Jeder hatte einen eigenen Namen, was meine Großmutter irritierte. Ein Abseits gab es nicht. Essbare Pilze auch nicht. Das Laub der wenigen Bäume wurde im Herbst sorgsam gekehrt. Ein Erfolgserlebnis für die Straßenkehrer, die den täglichen Müll nie beseitigen konnten. Auf der Oberfläche und sogar darunter (was meiner Großmutter zeitlebens ein Rätsel blieb), bewegten sich Menschen mit Dingen oder Gegenständen in und auf Objekten oder durch sie hindurch. Mobilität war stets gewährleistet. Wurde fast manisch praktiziert. Orientierung fanden technische Begleiter. Wenn es dunkel wurde, leuchteten sie. Manchmal stießen sich die Menschen dennoch aneinander. Natürlich. Alles flüchtig. Das Licht wie der drückende Nachthimmel und der unsichtbare Rauch auf der Straße über dem endlosen Asphalt. Tiefgründig drang alles in die Lungen. In alle. Es setzte sich fest. Drang ein, um zu verbleiben, während irgendwo ein Apotheker Hustensaft verkauft. Gegen die Erkältung. Den Schnupfen. Die drohende Gefahr. Für die Gesundheit. Ewiges Fieber. Anhaltend. Trotz isolierter Kapseln und Medikation. Panisch steigt irgendwo einer ein und ein anderer hektisch wieder aus. Dann Verkehr. Zähe Masse. Gestern und heute. Hin und her. „Hauptsache!“ Und morgen? Pferde aus Blech und Stahl mit einem Bauch voll raffiniertem Erdöl galoppierten bei jedem Wetter. Ihre Körper wurden warm; ja, sogar heiß! Ihr Geruch war seltsam. Anders; er hatte nichts mit Stall zu tun und roch doch wie der Atem eines toten Tieres. Manchmal vergewisserte man sich ihrer Existenz und nutzte dafür das eigens entwickelte Verfahren der Geschwindigkeitsphotographie. Sie mussten heizen. Sommer wie Winter. Kälte, Rekorde! Brechen und biegen. Karambolage. Das Rennen geht weiter. Bei jedem Wetter. Wetten. Darauf; Blitzlichtgewitter. Applaus.