Clankriminalität

Zahlreiche Familienclans existieren in Deutschland. Sie sind dafür bekannt, dass sie krasse Straftaten begehen. In aller Regel arbeiten die Unternehmen so sauber, dass ihre Taten unentdeckt bleiben. Seit vielen Jahrzehnten bestimmen sie die Geschicke in der Wirtschaft. Nun bedrohen neue Clans aus dem Ausland diese Strukturen. Wer kann helfen?

Hausbesuche

Ich habe letzte Woche
ein kritisches Gedicht
geschrieben
und dachte
es sei
bedeutungslos
doch
es besteht
Hoffnung


Plötzlich und
unerwartet
klopft es heute
an meiner
Wohnungstür
und eine
blonde Frau
in einer
orangefarbenen
Jacke öffnet
grüßt
mit
russischem Akzent
sie begrüßt mich
fast schüchtern
ich spreche nicht
sie fragt
ob
der Kollege
vor zwei Wochen
der war
doch
schon
hier
ich erinnere mich
nicht
bzw.
ich erinnere mich
„nicht“
also der Kollege
war nicht hier
sie ist verunsichert
und sagt
es gehe um
den
Glasfaserausbau
ob ich Probleme
mit dem Internet
hatte
die letzten Wochen
nein
gut
dann hat sich das
geklärt
gut
also
hallo Welt
gehen die Hausbesuche los
schlägt das Internet schon
zurück…
…ich fühle mich kurz
wie James Bond
und schreibe
ein Freiheitslied
für den
Geheimdienst
es heißt
Достоинство свободы неприкосновенно.

Vornamen in Berlin

Albert
Alexander
Alois
André
Andreas
Ansgar
Armin
Artur
Axel
Bernhard
Björn
Carsten
Christian
Christoph
David
Detlef
Diana
Dieter
Dietrich
Enak
Erich
Erwin
Fabian
Felix
Florian
Friedrich
Fritz
Georg
Gero
Günter
Gunther
Hansjörg
Hans-Jürgen
Hans-Peter
Helge
Hendrik
Henning
Hermann
Hubert
Ingmar
Ingo
Jan
Jan-Marco
Jens
Johann
Johannes
Jonas
Josef
Jürgen
Kai
Klaus
Klaus-Peter
Knut
Lars
Manfred
Marc
Marco
Mario
Mark
Markus
Marlon
Martin
Mathias
Matthias
Max
Maximilian
Michael
Moritz
Nicolas
Norbert
Olav
Oliver
Patrick
Paul
Peter
Philipp
Ralph
Reinhard
Roderich
Sebastian
Sepp
Stefan
Steffen
Stephan
Thomas
Tilman
Tino
Tobias
Ulrich
Uwe
Volker
Volkmar
Wilfried
Wolfgang
Yannick

Andrea
Anja
Anne
Annette
Antje
Astrid
Catarina
Christiane
Christina
Daniela
Dorothee
Elisabeth
Emmi
Franziska
Gitta
Heike
Inge
Jana
Julia
Katja
Katrin
Kerstin
Mareike
Maria-Lena
Martina
Mechthild
Mechthilde
Monika
Nadine
Nina
Ottilie
Paola
Patricia
Petra
Ronja
Sabine
Serap*
Silke
Silvia
Simone
Susanne
Yvonne

*evtl. etwas weniger beliebt als die anderen

Taubheitsgefühle

Kopfhörer
höre Musik
fühle mich gut
fühle mich frei
habe einen Crush
auf mein 14jähriges ›Ich‹
die Träume
die Unbefangenheit
die Liebe als Hoffnung
die Bildung als Suche
das Zeugnis als Anarchie
das Leben als
– steter Moment

Stelle fest
bin nicht
14
keine Träume mehr
keine Unbefangenheit
keine Liebe als Hoffnung
keine Bildung gefunden
kein Zeugnis ist Wahrheit
das Leben ist
– stetig geworden

Frage an
die Playlist
lügst du  mich an
was versprichst du mir
hast du mir geholfen
willst du, dass ich dich lösche
was willst du
wer oder was bist du
das Leben wäre wie
– ohne dich

Versöhnung
mit dem
Alter und
mit der
Erinnerung
das letzte Lied
das nächste Lied
eine Hoffnung
dazwischen
die Musik
ein Lächeln
es riecht nach Frühling
das Leben spielt
– mit mir

Keine Antworten
Keine Fragen
Alles i. O.

Biete 3 für 2

Habe Haarausfall
brauche meinen Frisör nich mehr
kann die Betty jetzt machen
mitte Maschine
den Garten machter Roboter
die Steuer die KI
suche neue
Haus’angestellte‘
für schmalen Taler
um sie ab und an
durch das Viertel zu führen
brauchen nicht viel arbeiten
sollen aber gut aussehen
jung, stark und wild
will einen guten Eindruck machen
beim Rassi gehen
im Heidepark.

Euer Hans-Georg-Siegfrid

Zwei Wege aus der Armut

Es gibt
soziale Sicherungssysteme
in Deutschland
wenn man
im Alter
was für die Rente tun will
kann man Flaschen sammeln
wenn man
vorher was tun will
musste schwarzarbeiten
für die Rich People
denen
du
egal bist.

Richter
Finanzbeamte
und andere
Herren (und Damen)
freuen sich
über die Pension
und geben dir
bisschen was ab
bisschen
nicht zu viel
kannst ja nix
hast ja nich studiert
hast ja früh Kinder gekriegt
viel, viel zu viele
haste dich vögeln lassen
vom falschen Kerl
so biste halt nix wert
wennde nich verhütest
oder reich bist
wärste aber
auch sonst nicht
biste arm
biste uns egal.

Selbstmord
dritter Weg
ist uns recht, mach
aber
nich bei uns
inne Wohnung
die Sauerei
kannste ja dann
nich mehr wegmachen
du bist nichts wert
kapiers einfach.

WIR HABEN
STUDIERT, GEERBT
& die BESSEREN GENE
FINDE DICH AB

Schwarzfahren vs. Steuerbetrug

Die Logik des Systems
ist einfach
ein moralisches
Lebenswerk des
christlichen
Humanismus
denn
wer kein Auto hat
hat kein Auto
scheiße, oder?

Wie kommste weg
ohne Auto
wie kommste an

ach, Kollegen
haste ja nich‘
bist ja zu faul
zu arbeiten
willst ja
den ganzen Tag
SCHWARZFAHREN
und dann nicht mal
zur Arbeit
was ne Zecke.

Geh‘ ma was
schaffen
anschaffen
für mich
du bist mein
Sklave
du musst was tun
damit der Rubel rollt
damit die Turbine
mich reich macht
muss mein Leben
ja finanzieren
also du finanzierst
mein Wachstum
biste verbraucht bist
und  das geilste
du willst so sein wie ich
zahlste einfach keine
Steuern
dann hastes
geschafft
in den Himmel
und dann
sag ich da
kommste nich rein
wenn de arm
aussiehst

Pech gehabt.

Ende erstes Duell

Kommunikationsneurosen der Großeltern

Nur eine Sache kam in Verbindung meines Großvaters gelegentlich zur Sprache, wenn bei einer Geburtstagsfeier das Telefon klingelte. Auf den technischen Ausbau der Kommunikationswege und die neue räumliche Erschließung hatte er wohl – positiv gesprochen – sehr zurückhaltend reagiert. Er habe es damals als Ende der persönlichen Freiheit ausgerufen, ein eigenes Telefon im privaten Haus zu besitzen. Lange hatte er es gegen jeden gesellschaftlichen Druck geschafft, sich einer solchen „Apparatur des Terrors“ nicht zu unterwerfen. Als man ihm dann, in Absprache mit meiner Großmutter, zum Geburtstag „sehr spontan“ doch eines schenkte und es zum vollständigen Gelingen der Überraschung gleich angeschlossen hatte, empfand er diesen gut gemeinten Akt der Zwischenmenschlichkeit zwar als etwas übergriffig, er konnte und wollte sich in seiner netten Art letztlich aber auch nicht dagegen wehren. Er verstand das Geschenk als durchaus gut und ernst gemeinte und sehr ehrliche Aufmerksamkeit seiner Freunde. Und schließlich hatte seine Frau in letzter Zeit schon häufiger den Wunsch geäußert, sich durch das Gerät einige Reisen in die Stadt sparen zu können.

Das verstand mein Großvater nur zu gut. Zudem konnte er seine innere Unsicherheit nicht weiter verleugnen, denn auch er zweifelte längst an seinem Vorurteil gegen den Fortschritt und er hatte die nicht nur im beruflichen Alltag wirksamen Vorzüge der neuen Technik bei einigen Freunden und Bekannten mittlerweile auch durchaus selbst zu schätzen gelernt. Aus einem inneren Bedürfnis nach Ruhe, Sicherheit und aus Angst vor möglicher Überwachung zog er den Stecker am Gerät dennoch bis auf eine Stunde am Tag. Die „Stunde der Erreichbarkeit“, wie er es nannte, wechselte er zufällig ab und man musste wirklich Glück haben, ihn oder meine Großmutter an den Apparat zu bekommen. Das machte es für Außenstehende schwer. Für Involvierte galt es, sich damit zu arrangieren oder dazu zu verhalten. Wenn wir sie besuchten, fuhren wir deshalb einfach hin. Bemerkenswerterweise überforderte sie der spontane Besuch kein einziges Mal. Jedes Mal, wenn wir durch ihre stets offene Haustür in die Diele traten, schlug die Überraschung sogleich in große Freude um.

Dissonanz

Kontrastreicher Bruch:

Kommen von der Musik
Historische Musik
Konzertsaal

Hier und jetzt
Elektronisch
Club

Wir sprechen über Musik
Singen, machen und zeigen
Sich gemeinsam vergessen

Wer Musik macht und kennt
Die Höhen und Tiefen als
Grenzen des Eigenen
kommt zusammen im Abseits

Was den Moment wirklich klärt
ist Ausdruck durch Empfinden
braucht nur wenig Klang, nur
Stille – – –

Und:
Sprache in all ihren Zeichen.

Stilvoll im Umgang
Mit offenen Armen
Alles gegeben
Offenheit
Bis an die Stelle
Hier
Jetzt
————————————————————-
Veränderung
Grenzziehung
Scharrende Hufe
Ignoriere das Tanzen
Totale Privatheit
Wenn wir das tun
Habe Lust darauf
Während ich schreibe
Doch es muss stimmen
Ort
Zeit
Musik
Mensch
Stimmung

Bin für Radikalität
In der Beziehung
Gebundene Harmonie
Nur wenn alles passt
Ist der Tanz ein
gültiges Instrument.

Hölzern schwingt er den Taktstab
Zum Dirigenten erhebt er sich selbst
Braucht man da kein feines Gefühl?
Tak, tak, tak –

Angezählt wie ein Tolpatsch
Vergewaltigt den Auftakt
Verweigerung des Einsatz
Jeder bestimmt selbst
in welchem Orchester man spielt
wessen Publikum man ist

Zum Schluss zeigt
die Macht ihre Fratze
im Trunkenbold
als geile Gespielin

“Man muss den Kopf
manchmal zu Hause lassen.”
Aufforderung: “Das müsst ihr klären!”
Doch – ich lasse mich nicht
ins Duell schicken

Suche den Stil.

Will dringend nach Hause
Gerate noch nicht aus der Situation
Suche Haltung und fühle mich
Nicht missachtet; geschändet
Vom Verhalten der Gruppe
Die keine mehr ist
– zu klein
Drei ist keine Gruppe
Das merkt man hier deutlich
Einladung in das eigene Appartement
Ich lehne ab; mehr als dankend
Deutlich

Keine Konstellation für diplomatische Beziehungen
Verhandlungen nicht führbar
Wenn diese Grenzen schon überschritten
Ist der Abend am Ende
Verstanden; zu gut
Erkenne die Wahrheit

Suche Professionalität
Ringe nach Luft

Konfrontation mit der Macht
Ich bin kein Herausforderer
Kein Interesse – außer am Menschen
Der Menschlichkeit; als Harmonie
Und als gute Gemeinschaft

Konfrontation mit der Wahrheit
Als ihr schlechtes Imitat
Perversion des Tierischen
Opfere mich gerne
Um zu beenden
Wenn Macht zeigt
Wie Verhalten
Gastfreundschaft konterkariert
Und mich zur Tür bringt
Als funktionalisierte Person
Eines Heuchlers
Der das Dritte nicht als Begehren sucht
Sondern als Besessener

***
Ich bin Europäer
musste nie schießen
und weiß um die Freiheit
und gehe nach Hause
wenn die Aufforderung kommt
oder –
an den Galgen
wenn Gewalt
wieder Welt ist
und Grenzen
sich blutend erheben
über den Häuptern
der andersgläubigen
Ketzer
und wenn das der Preis ist
um Haltung zu wahren
und im Frieden
Menschlichkeit
als Verantwortung
*** sichtbar lachend
den Schlächtern
– zu zeigen.

Balkon

Gestern daran vorbeigegangen. / Heute sitze
ich drin. / Irgendwie komisch. /
Die Gesellschaft macht es, dass es sich
richtig anfühlt. /

Suppe mit Waldpilzen. / Zander an Kartoffeln und
Möhrengemüse. / Erdbeer-Joghurt-Tarte
(oder so etwas in der Art) / Kaffee /

Sie waren schon seit Dienstag hier /
Wir hätten Ihnen doch das Institut gezeigt /
Einladung zur Wiederkehr /
Ich nehme sie an /
Als zeitlich unbestimmten Termin /
Verbindlich im Wort /

Wir sprechen über das Fagott. /
7 Jahre. / Kurzer Austausch. /
Saxophon. / Tauschen Adressen. /
Bleiben in Kontakt. / Via E-Mail. /

Der Blick einer mir nicht bekannten Angehörigen. /
Erkenne Anerkennung. / Man hat wohl gesprochen. /
Das sieht man in ihren Augen. / Ich versuche mich
im dankbar liebevollen, antwortenden Blick. /
Vielleicht gelungen. /

Wir wurden nebeneinander gesetzt. / Wie mir
jetzt klar wird. / Stil bis ans Ende. / Ins
kleinste Detail. / Sitzen vor den anderen. /
Öffentlichkeit pur. / Kein Platz für spontane
Intimitäten. / Falscher Ort, aber / auch gar
nicht gewollt. / Von meiner Seite. / Kenne
nur diese, / lege es nicht weiter darauf
an. / Mehr zu kennen, / in solchen Sachen
rational ehrliche Antwort sowieso schwer; /
selten. /

Zwischen uns und den anderen in
derselben Reihe eine Barriere wie eine
Grenze. / Zwei Uniformierte. / Paar. /
Gemeinsame Orden. /

Zwei Personen in Uniform:

a) Eine Frau, groß, schwarze Haare,
gefärbt, Kurzhaarschnitt, /
überschminkt, / kurzer Rock, / hohe
Schuhe, / im Stehen lange Statur – /
sitzend größer als ich stehend
(vermutlich) /

b) Ein Mann, größer, weniger Haare,
manche schon weiß oder grau, die Reste
sind schwarz, Bart / breite Schultern /
ernster Blick / sehr ernst / wirkt
wenig begeistert /

Sowjets in meinem Klischee. / Das es so etwas
wirklich gibt. / Hätte ich nicht gedacht. / Lache
innerlich laut. / Contenance. /

Es folgt Musik. Fern jeglicher Beschreibung. Hören
– ohne Worte.

Konzert vom Balkon. / Musik. /
Blicke. / Nähe. / Distanz. /
Meinerseits. / Musik./ Nähe. /
Distanz. / Fremde. / Grenzgang. /
Wäre nicht ehrlich. / Applaus. /
Musik. / Zugabe. / Applaus. /
Hingabe. / Körperlos schön. /
Ja. / Aufmerksamkeit. /
Bedingungslos. / Anders. / Musik
zu Ende. / Wir verlassen den
Balkon. /

*** ENDE OFFIZIELLER TEIL ***

Liebe in der Stadt

Die Stadt trägt weiß. Heute, entgegen der Regel, bleibt der Schnee liegen und verwandelt sich nicht sofort in den braunen Matsch, der Autofahrer panisch werden lässt. Ich habe kein Auto mehr, aber ich kenne die Panik von früher, sie ist ansteckend. Es ist wohl eine Erscheinung unserer Zeit, wenn alles schneller und einfach erreichbar ist, dann hat man große Angst vor dem Geschwindigkeitsverlust. Der Mensch macht sich Gedanken über sich selbst, über den Tod und das Leben – die Liebe. Das wird im Bedürfnisparadies vermieden. Aber bringen uns neue Dinge, neue Technik und Apps für jeden Scheiß auch weiter oder nur weiter weg von uns und von der Natur, die wir sind. Ach, das ist eine alte Frage, so philosophisch, der Herr heute…

*Hier stellt sich im Text eine kurze Melancholie ein, die ihren Ursprung im Jahr 2009 hat.*

Manchmal wäre es doch einfacher, ich wüsste gar nicht, also mein ganzes Leben lang, dass es Japan überhaupt gibt. Also Japan, das ist natürlich nur ein Beispiel. Aber jetzt, wo ich die ganze Welt kenne, da muss ich als aufgeklärter Mensch auch überall hinreisen. Menschen kennenlernen, andere Kulturen und das fremdländische Essen! Was ein Stress. Es reizt mich nicht, ich treffe andere Kultur in der Kneipe oder in Kalk. Weiter komme ich nicht. Da ist unser Deutschland den Deutschen, und es ist eine schöne ganze Welt für sich. Eine, die ich bis heute noch gar nicht ganz kenne. Und jedes Mal, wenn ich mit jemandem hier rede, öffnet sich ein neues Tor. Aber sobald ich die Festung der Vielfalt verlasse, schlägt’s mir der Hammer vor den Kopf. Die frische Luft schmeckt nach Plastik und ich huste kurz, der weiße Mann reagiert empfindlich auf Veränderung. Außerhalb von Kalk sprechen wir direkt darüber, welches Land das nächste ist. Fast wie bei Monopoly mit Cheats.

Gestern hatte ich ein Date. Mit einer Frau, obwohl das Geschlecht vielleicht gar nicht so wichtig ist. Also schon, aber auch nicht. Wir modernen Menschen werden über Apps zusammengeführt, verbinden uns mechanisch in einer Nacht. Dann läuft das Getriebe weiter. Das Miteinander wird eingeleitet mit der Anreise. Dann folgt ein kurzes Essen oder wir lassen uns was bringen. Man schaut eine Serie, beginnt sie und dann geht es los. Rein, raus, aus die Maus. Dann liegste da in fremder Welt und biste plötzlich ganz auf dich allein gestellt. Wirste ausrangiert, weggeworfen oder durch die App noch mal recycelt. Je nach Performance, Gesundheitszustand und natürlich gibt es ein Feedback-Formular mit gelben Sternen. Wir sind immer noch in Deutschland.

Da der Mensch keine solitäre Pflanze ist oder sonst zum Egomanen wird, bleibt einem kaum die Wahl. Man fügt sich der höheren Ordnung. Berufswunsch: Alleinherrscher mit Panzerfabrik. Whitepower. Der Rubel würde rollen dieser Tage, aber ich kann kein Russisch und meine Moral ist dann doch noch zu sehr intakt. Das wäre wiederum gut für die Truppe, aber es ist schlecht, weil ich noch in den Himmel kommen will. Bestenfalls später. Und wenn der Weihnachtsmann mir da dann die Bilanz vorliest, dann renne ich weinend zurück auf die Welt, wenn ich höre, was ich auf dem Gewissen habe. Das will ich vermeiden. Ich will ein guter Mensch sein und bleiben. Deshalb gilt für mich: Schlechtes Handeln vermeiden. Karma fällt mir auch sowieso oft sofort auf die Füße. Das tut dann direkt weh. Aua, Mama! Wiedergeburt als Arschloch setzt in der Regel sofort ein, fühlt sich nicht gut an. Kenne ich aus eigener Erfahrung. Niemand ist Mensch in Perfektion. Auch ich habe Fehler, aber Panzerfabrik wäre zu krass. Das kann ich nicht machen.

Mein deutsches Temperament zeigt sich gleich zu Beginn. Obwohl ich mir geschworen habe, dass ich heute die imperialen Narrative der westlichen Zivilisation vermeiden will, erzähle ich sofort wieder eine Geschichte, in der ich als Fabrikbesitzer auftrete. Es fällt mir schwer, der Realität ins Auge zu sehen und niemand erzählt über den Arbeiter in der Fabrik. Keiner will wirklich die Geschichte der Arbeiterin erzählen. Das Mütterchen kocht in Gedanken noch immer das leckerste Sonntagsgericht. Was das angeht, lebe auch ich noch immer im 19. Jahrhundert. Mein Kopf ist offensichtlich eine Echokammer ohne Therapieansatz. Ärztin beißt sich die Zähne aus. Priester wäre erstaunt, versteht aber nur Latein. Keine Medikation, Ping-Pong-Delay bis in alle Ewigkeit. Egal, ich erzähle und greife auf eine Fiktion zurück. Mein Leben ist eine Katastrophe. Ich bin Anfang 40, arm, habe nichts erreicht, fahre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihr und Urlaub kann ich mir nicht leisten. Reisen ist für mich eine Illusion, aber ich habe neulich in Kolumbus’ Brief aus der Neuen Welt gelesen. Da war ich kurz weg. Dann wieder da. Dann habe ich mich gefragt, wieso die Welt neu ist, wenn man da Menschen trifft.

Die Frau ist beeindruckt von meiner weltgewandten Art, belesen ist der Mann, zwar arm, aber es bleibt eine philosophische Ader. Außerdem ist er auffallend groß, gute Statur, gute 1,80 groß, volles Haar und er könnte Menschen sicher gegen die Wilden verteidigen. Das wäre toll, und bei einem Einkauf könnte man echt was aus ihm machen. Das Ding ist, er hat halt nichts erreicht. Gar nichts. In Buchstaben: G-A-R-N-I-C-H-T-S. Ich lebe mein Leben, schreite voran in Sachen Emanzipation, ich verdiene gut als Projektmanagerin und dann muss ich ihn durchfüttern, seine Klamotten bezahlen und das hört nie mehr auf. Auf Feiern wird er mich blamieren, weil er einfach dieses Arbeitergen in sich trägt. Es wird deshalb auch so sein, dass er sich an mich heranwirft wie eine Klette. Und dann sucht er sich heimlich das nächste Glück. Ich lasse mich aber nicht mehr verarschen. Der wird so hinterhältig sein wie der Händler in Indonesien. Oder der in Peru. Und der in Namibia. Aber keine Sorge, ich kenne das. Ich kenne mich aus. Und für heute ist das gut so. Für heute ist er gut, ich kenne seine Bewertungen. Die waren mit 4,9 Sternen durchweg positiv. Das Ende kläre ich. Ich bin der Chef, ich kann jederzeit kündigen. Notfalls fristlos. Ich bin frei.

Als wir über das Reisen sprechen, da soll ich aufzählen, welche Länder ich schon bereist habe. Ich war bislang nur in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg. Ins Ausland sollte ich damals mit der Schule, aber der Eigenanteil zum Schüleraustausch war zu hoch. Meine Mutter war alleinerziehend und konnte sich das nicht leisten. Mein Vater war ein Schläger. Der sah gut aus, der war verführerisch. Ich verstehe, warum man ihn liebt oder warum man das glauben will, dass man so jemanden liebt. Er hat so eine verfängliche Art und kann die Rolle des Beschützers gut ausfüllen. Zumindest in der Theorie. Er ist die Idealbesetzung für jeden Film. Bezahlt hat er dann später trotzdem nie. Das ist die Praxis. Ich mache meiner Mutter keinen Vorwurf. Ich verstehe sie. Nach Paris ging es für mich trotzdem nicht. Es war zu teuer, meine Mutter hat es so gesagt, wie es ist. Sie habe das Geld nicht, und ich habe sie dann im Futur II getröstet. Ich hätte sicher Heimweh bekommen.

Dann geht es nicht mehr anders. Ich muss die Frage beantworten. Also: Welche Länder hast du bereist? Ich antworte: Eythstraße, Lilienthalstraße, Loestraße, Steinmetzstraße, Feldstraße, Dieselstraße, Kasernenstraße… Sie fühlt sich sichtbar verarscht, aber sie lacht. Vermutlich hat sie für heute nichts Besseres gefunden. Das ist aus meiner Sicht offensichtlich. Sie bleibt, und ich sehe noch immer ganz gut aus, wenn ich die letzten zehn Jahre vergesse. Also streue ich gezielt noch meine lustigsten Begegnungen im Kiosk ein. Da habe ich eine Top5, die zieht immer, das geht in jeder Gesellschaft. Das findet sie witzig, sie ist dann doch noch beeindruckt. Dann erzählt sie mir ungefragt im Detail von ihren Trips: Costa Rica (mit Singlegruppe), Peru (mit Guide), Kolumbien (mit befreundetem Pärchen), Amerika (natürlich mehrfach und ganz), Kanada (kurz), Afrika (nur die sicheren Länder), Afrika+Safari mit einem Ex-Freund (wilde Geschichte), Asien (noch nicht ganz, Stichwort: Nordkorea), China (vor der Pandemie), Australien (nach dem Abitur), Gardasee (mit den Eltern). Inzwischen findet sie das Autofahren und besonders das Fliegen doof. Es ist alles zu viel für das Klima, man merke das jetzt. Die Wissenschaft…

Ich denke kurz an Waterworld mit Kevin Costner und freue mich darüber, wie schön und unbeschwert das Leben in den 90ern gewesen ist. Damals wäre ich gerne Anfang 40 und wie Kevin Costner gewesen. Ein Bodyguard für meine Frau, die beiden Kinder und in meinem Job auch für die Welt. Most Important Me. Ein Mann, seine Erzählung, sein Kampf für das Gute, gegen das Böse in der Welt. Die Rettung für alles. Für die Welt, die ganze. Das kriege ich nicht mehr hin mit meinem Leben und zum Vergleich mit Kevin Costner fehlt auch ein ganzes Stück – Geld, Aussehen, Ruhm. Da muss man ehrlich sein und die Kirche im Zelt lassen (Himmel). Es geht mit dem Gespräch dann unentwegt weiter. Weil ich mich anpassungsfähig zeige, viel zuhöre und bei kritischen Dingen nicht nachfrage, sondern zustimme, finden wir dann doch noch zusammen. Vielleicht hat sie Mitleid und ich habe es auch, darüber sprechen wir aber nicht. Wir fahren mit dem Taxi, sie zahlt. Ab da gibt sie mir fortlaufend Instruktionen, dann wirft sie mich weg, aber sie versucht dabei höflich zu bleiben. Sie schlafe lieber alleine und bitte mich deshalb darum, dass ich „jetzt gehe“. Sie wache außerdem ungern neben einem fremden Mann auf. Alle Männer, die sie kenne, seien am nächsten Tag Arschlöcher geworden. Ich stimme ihr zu. Es ist 4 Uhr in der Nacht, ich gehe zu Fuß und freue mich auf mein Bett. Das Taxi kann ich mir nicht leisten und die Bahnen fahren hier um diese Zeit nicht mehr. Ich gehe zu Fuß und bin froh, dass Köln nicht New York ist.

Auf dem Heimweg denke ich kurz wieder an Japan. Ganz rechts auf der Karte, da liegt die Walfangkolonie. Hinter den Unbekannten im Osten. Es wäre wahrscheinlich gut, wenn man gar nicht wüsste, was da ist. Einfach nur Menschen im kleinen Europa treffen. Hier mal ein Franzose, da eine Spanierin, dort ein Italiener oder eine Türkin. Die Frau ist eigentlich Kurdin, aber das Problem verstehen die Menschen im Viertel nicht, andere kennen es aus eigener Erfahrung wiederum viel zu gut. Es ist so schön anzusehen, dass alles durcheinander ist, aber irgendwie auch nicht. Die friedlichen Häuserdächer sind alle ganz weiß. Die Wege und Wiesen sind bedeckt. Meine Schuhe knirschen im Schnee auf den Bürgersteigen, die um diese Zeit nicht mehr geräumt sind. Es ist noch einmal ordentlich was dazu gekommen. Ungewöhnlich, aber der Winter ist wohl endlich da. Am Fluss gehe ich auf die Brücke, bleibe kurz darauf stehen und drehe mich um. Dann sehe ich meine Spuren und fühle mich wie ein kleines Kind, das den Blankspace gefunden hat. So muss sich Neil Armstrong gefühlt haben. Ich gehe über die Deutzer Freiheit, dann noch einmal durch ein paar kleine Gassen und an manchen Plätzen bleibe ich stehen, weil ich mich an etwas erinnere. Und dann stelle ich fest, dass ich der App heute doch nicht egal bin. Mein Handy vibriert. Ich drehe um und hoffe, dass wir uns in einem neuen Projekt vielleicht kurzfristig geliebt haben werden.

Die Stadt [am Rhein]

Köln, den 04.11.2016

Im grauen Kalk, am grauen Rhein
Und gegenüber liegt der Dom
Wächter über den Dächern
Innig schweigend ohne Stille
Erhaben über der Stadt.

Vergeblich sucht man die Wälder
Auf Bäumen fliegen nur Papageien
Kein Wandern, kein Schreien im Herbst
Sommer wie Winter und zu jeder Zeit
fließt nur ewig davon – der Rhein.

Wie viel Herz hängt wirklich daran?
Dass man von hier nicht verschwindet
Abenteuer der Jugend an anderer Stelle
findet und bleibt oder nicht, – allein
die Stadt, die uns ewig bindet
die Stadt ist wohl die am Rhein.